BMCR 2006.07.39

The Worlds of Aulus Gellius

, , The worlds of Aulus Gellius. Oxford: Oxford University Press, 2004. xvi, 392 pages : illustrations ; 23 cm. ISBN 0199264821. $145.00.

Der vorliegende Band versammelt alle zwölf anlässlich des am 17. Mai 2003 am ‘Centre for the Study of Greek and Roman Antiquity’ des Corpus Christi College in Oxford von Ewen Bowie veranstalteten internationalen Kolloquiums zu ‘Aulus Gellius and his Works’ gehaltenen Beiträge (in erweiterter Form). Diese Tagung stellte als erste überhaupt den lange Zeit vernachlässigten Autor Gellius in den Mittelpunkt;1 die Teilnahme namhafter Gellius-Fachleute macht diesen ebenfalls ersten Gellius gewidmeten Sammelband, der einen weitgehenden Überblick über die Fragestellungen der aktuellen Gellius-Forschung bietet, zu einem Gewinn.

Der Band gliedert sich in drei Themenkomplexe. Fünf Beiträge umfasst der umfangreichste Abschnitt “Contexts and Achievements”.

Simon Swain (University of Warwick) “Bilingualism and Biculturalism in Antonine Rome” ordnet Gellius’ ‘code-switching’ zwischen der lateinischen und griechischen Sprache mit Gewinn in die Verwendung des Griechischen durch frühere römische Schriftsteller (ausführlich Cicero) einerseits und die besondere kulturelle Situation des 2. Jahrhunderts nach Christus andererseits ein.

Alessandro Garcea (Université de Toulouse-le Mirail) und Valeria Lomanto (Università degli Studi di Torino), “Gellius and Fronto on Loanwords and Literary Models”, untersuchen anhand eines Fallbeispiels (Kap. 19,13) und im Vergleich mit Fronto Gellius’ Umgang mit griechischen Lehnwörtern.

Franco Cavazza (Università degli Studi di Bologna), “Gellius the Etymologist”, unterzieht die zahlreichen etymologischen Erklärungen in den noctes Atticae einem ausführlichen Vergleich mit anderen antiken Deutungen und den Ergebnissen der modernen Linguistik.

Andrew Stevenson (Lancaster University), “Gellius and the Roman Antiquarian Tradition”, nimmt allgemein Gellius’ Verhältnis zur antiquarischen Literatur in Rom in den Blick. Graham Anderson (University of Kent), “Aulus Gellius as a Storyteller”, beschliesst diesen Abschnitt mit einer Analyse der narrativen Technik des Gellius.

Der zweite und vielleicht interessanteste Teil des Bandes, “Ideologies” mit vier Beiträgen behandelt schwerpunktmässig die bildungspädagogische Ausrichtung der noctes Atticae.

Ausgehend von der Gattung des Werks weist Amiel Vardi (Hebrew University of Jerusalem), “Genre, Conventions, and Cultural Programme in Gellius’ noctes Atticae“, überzeugend nach, dass die Abweichungen der noctes Atticae von der Tradition der Buntschriftstellerei in engem Zusammenhang mit Gellius’ Ziel der Vermittlung von Bildungswissen stehen.

Teresa Morgan (Oriel College, Oxford), “Educational Values”, stellt heraus, dass Gellius eine explizit ethische Zielsetzung gehabt, die zu vermittelnden Werte jedoch indirekt und unsystematisch propagiert habe. Zielgruppe seiner ethischen Bemühungen sei, seinem eigenen biographischen Hintergrund entsprechend, der männliche, frei, gebildete, reiche Römer gewesen, der in verschiedenen sozialen Gefügen (Staat, Familie, Freundschaftszirkel) eingebettet war. So stellten die noctes Atticae aufgrund ihrer Textgattung für ihre Zielgruppe eine Fundgrube ethischer, exemplarischer Einzelfälle von hoher sozialer Funktionalität bereit. Daher billigt Morgan den noctes Atticae grossen erzieherischen und ethischen Wert zu.

Stephen Beall (Marquette University, Milwaukee), “Gellian Humanism Revisited”, unterstützt diese Sicht. Gellius Ideal werde mit Recht humanistisch genannt, weil der Mensch und seine ethisch-moralische Lebensführung das Mass aller Dinge sei. Beall sieht zahlreiche philosophische Bezüge, insbesondere zur platonischen Akademie. ‘Neo-klassische Skeptiker’ wie Bacon, Montaigne und Charron stünden in der gellianischen Tradition. Auch nach Beall war es das Ziel der Arbeit des Gellius, ad fovendum animum zu dienen, genauer das Denken, die Erinnerung, die Kommunikation zu befördern ( ingenia vegetiora, memoria adminiculatior, oratio sollertior, sermo incorruptior), zugleich aber solle sein Werk Genuss bieten ( ad oblectandum animum). Die gründliche Beschäftigung mit und die Beherrschung der lateinischen Sprache sei für den römischen Bürger dabei sowohl im öffentlichen als auch im privaten Bereich ( studia in otio) essentiell gewesen. Daher hat Gellius Romanitas eng mit Latinitas verbunden. Zwar weist Gellius, wie auch schon im Vortrag Theresa Morgans nachweisbar, nicht systematisch die Wege auf, aber er zeigt, warum Erziehung sinnvoll, sozial, nützlich, moralisch ist und Genuss bietet.

Mit der satirischen Darstellung zeitgenössischer Intellektueller beschäftigt sich Wytse Keulen (Rijksuniversiteit Groningen) in seinem Beitrag “Gellius, Apuleius, and Satire on the Intellectual”. Enge Bezüge zu Apuleius (vor allem im Rekurs auf die Sokrates-Figur und der selbstironischen Charakterisierung der eigenen persona) werden hierbei deutlich.

Der dritte Teil des Bandes “Reception” ist dem ‘Nachleben’ der noctes Atticae gewidmet und stellt dabei mit dem Mittelalter und der frühen Neuzeit die Epochen der intensivsten Gellius-Rezeption in den Vordergrund.

Dabei gibt Leofranc Holford-Strevens (Consultant Scholar-Editor at the Oxford University Press), “Recht as een Palmen-Bohm”, anhand eines textkritischen Einzelproblems (Kap. 3,6) einen umfassenden Überblick über die Beschäftigung mit Gellius und die handschriftliche Überlieferungsgeschichte im Mittelalter.

Die Bedeutung der noctes Atticae für die französischen Schriftsteller des 16. Jahrhunderts stellt Michael Heath (King’s College London), “Gellius in the French Renaissance”, dar und betont dabei neben der Überlieferung antiker Inhalte auch ihre Rolle als literarisches Modell (zum Beispiel für die Essais Montaignes).

Auch Anthony Grafton (Princeton University), “Conflict and Harmony in the Collegium Gellianum”,sieht diese beiden Funktionen und weist sie ebenso für das Italien des 15. Jahrhunderts nach; zudem arbeitet er heraus, dass Gellius für die Humanisten zum motivierenden Vorbild für Wissensbeschaffung und Wissensverarbeitung wurde.

Den anregenden Band, der die wachsende wissenschaftliche Diskussion zu Gellius sicherlich befruchten wird, schliessen die Bibliographie, ein Personen- und Sachindex, das Stellenregister und ein index verborum de quibus A. Gellius disputat ab.

Notes

1. zu nennen wären lediglich B. Baldwin: Studies in Aulus Gellius, Lawrence, Kansas 1975; S.M. Beall: Civilis eruditio. Style and content in the ‘Attic nights’ of Aulus Gellius, Diss. Berkeley 1988; L. Holford-Strevens: Aulus Gellius. An Antonine scholar and his achievement, London 1988 (2. Aufl. 2003) und M.L. Astarita: La cultura nelle ‘ noctes Atticae‘, Catania 1993.