BMCR 2006.10.21

Leben und Wohnen in der römischen Stadt

, Leben und Wohnen in der römischen Stadt. Darmstadt: Wiss. Buchges. [Abt. Verl.], 2006. 167 Seiten : Illustrationen, Karten ; 25 cm. ISBN 9783534162857. €39.90.

Die grossstädtischen Wohn- und Lebensverhältnisse in der antiken römischen Stadt erwecken nach wie vor die Faszination von Forschern und Laien. Die Anzahl der Publikationen zu diesem Thema ist folglich gross. “Leben und Wohnen in der römischen Stadt” von Christiane Kunst (unter Mitarbeit von Bettina Kunst) wendet sich reich bebildert und verständlich dargestellt an den interessierten Laien, berücksichtigt und zitiert aber nichtsdestotrotz die aktuelle Forschung.

Das Buch basiert im Wesentlichen auf der Sammlung literarischer Quellen “Römische Wohn- und Lebenswelten. Quellen zur Geschichte der römischen Stadt” (2000) derselben Autorin (im selben Verlag), ohne indes die archäologischen Erkenntnisse zu vernachlässigen. Weitere Aufsätze und Artikel zu diesem Thema und seinen Teilaspekten erweisen, dass es sich bei Christiane Kunst (fortan K.) um eine Spezialistin auf diesem Gebiet der althistorischen und archäologischen Forschung handelt. Unterteilt ist die Darstellung in sechs Haupt- und zahlreiche Unterkapitel sowie einige Exkurse von ganz unterschiedlicher Länge. Eine Einleitung fehlt; ebenso ein Schluss- oder Auswertungskapitel. Neben Rom, Pompeii und Ostia finden auch Städte ausserhalb der italischen Halbinsel Berücksichtigung, wenn auch weniger detailliert.

Der erste, sehr kurze Abschnitt “Paradigmen des Bauens” (7-11) widmet sich der Diskussion der antiken Quellen, die sich zu Sinn und Zweck des Bauens von und Wohnens in Städten äussern. In Griechenland wie im römischen Reich galt die Stadt als politische Gemeinschaft und Ausdruck der Zivilisation. Wer nicht in städtischen Gemeinwesen lebte, war nicht zivilisiert. Dass man durch das Bauen römischer Städte lokale (barbarische) Eliten in den Provinzen “zur Adaption römischer Lebensweise […] zwang” (9), impliziert allerdings einen römischen Imperialismus, den es in dieser Weise nicht gab, zumindest nicht so einseitig. Auch Tacitus (Agr. 21), den K. in diesem Zusammenhang anführt, redet nicht von einem “Zwang”, sondern von den Vorteilen der römischen Zivilisation, mit denen die Barbaren geködert wurden. Allerdings ist K. darin zuzustimmen, dass die privilegierte Stellung der lokalen Eliten durch die Übernahme der römischen Gebräuche gefestigt wurde.

Das zweite Kapitel “Lebensort Stadt” (12-59) informiert als erstes über die verschiedenen physischen und symbolischen Stadtbegrenzungen Roms — K. geht davon aus, dass die Luperci an den Lupercalia“dem Lauf des pomerium folgten” (12) —, ferner über römische Stadtplanung, woran sich zwei Exkurse anschliessen: Der erste zur Gestaltung der insula VII 4 in Pompeii, der zweite (von Bettina Kunst) mit einigen, gut begründeten Hypothesen zu den antiken Bauzeichnungen. Im Folgenden wird die städtische Verwaltung beschrieben, zu der K. unter anderem die Bauaufsicht, die Instandhaltung öffentlicher Einrichtungen und die Reinigung derselben, besonders der Strassen, rechnet, wobei K. hier wie auch sonst immer bemüht ist, die Entwicklung von der Republik bis in die Spätantike zu skizzieren, sofern die Quellen dies erlauben. Ebenfalls behandelt werden die urbanen öffentlichen und privaten ‘Räume’, die städtische Infrastruktur (Wasser-/Lebensmittelversorgung und Hygiene) und Orte wie auch Gelegenheiten der sozialen Kommunikation ( salutatio, Forum, Tempel, Theater).

Etwas unpassend ist die Überschrift des dritten, wiederum sehr kurzen Kapitels “Wohnungen in der Stadt” (60-68), da nach wenigen Ausführungen zu besagten Wohnungen (60-62) der übrige Text dem Landleben sowie den Speisen und dem Wohnluxus der Reichen gewidmet ist (62-68). Ferner fragt man sich, warum dieser Abschnitt von den folgenden zu domus und insulae getrennt ist, zumal sich inhaltlich einiges wiederholt.

Das vierte Kapitel “Das grosse Privathaus — ein städtischer Mikrokosmos” (69-95) beschreibt die wesentlichen Merkmale der römischen domus. Neben der Ausgestaltung des Eingangsbereichs werden unter anderem atrium, tablinum, der Garten, die Wandmalereien, cubiculum, triclinium und lararium behandelt. Daneben spielen auch die Funktion des Hauses als Wirtschaftseinheit und die symbolischen Deutungen der domus eine Rolle, wobei hinsichtlich letzterer die abweisend wirkende Hausfassade auf die Hausgerichtsbarkeit des pater familias hinweisen soll (82f.), was vielleicht etwas weit hergeholt ist (vgl. dagegen S. 69).

Der folgende Abschnitt ” Insula. Zwischen Komfortwohnung und Absteige” (96-117) widmet sich den Mietwohnungen in römischen Städten. Besonders wertvoll ist hierbei die Diskussion der verschiedenen Bedeutungsmöglichkeiten des Begriffs ‘ insula‘ zu Beginn des Kapitels. Daneben äussert sich K. zur Bauweise mehrstöckiger Wohnblocks, zu den Wohnquartieren, zum von der ‘Oberschicht’ angemieteten Wohnraum, zur sozialen Differenzierung innerhalb der insula und zu den generellen Faktoren, welche für das Wohnen von Bedeutung sind, wie Platz, Licht, Hygiene, Sicherheit und Miete. Zum Teil wird hierbei die Moderne als Vergleich hinzugezogen. Auch der Immobilienspekulation, welche bekannte Persönlichkeiten der Antike wie Cicero in ungünstigem Licht erscheinen lässt, widmet K. einige Seiten.

Das letzte Kapitel “Wohnen nach dem Tod” (118-130) gilt dem Grab als ewigem Haus. Neben der Topographie (Gräberstrassen) diskutiert K. die “Ausstattung” und die “soziale Ausdifferenzierung” der Gräber, wobei die Trennung in zwei verschiedene Unterabschnitte wenig einleuchtet. Daneben werden auch die illegale Bestattung und das Grab als Ort der Geselligkeit angesprochen.

Den Schluss der Darstellung bildet der Anhang “Gebaute Beispiele der Domus aus Pompeji” (131-150) von Bettina Kunst. In diesem werden ausgewählte Häuser aus genannter Stadt hinsichtlich ihres Aufbaus und seiner Wirkung auf den Betrachter/Besucher besprochen und detailliert abgebildet. Angehängt sind Anmerkungsapparat, Literaturverzeichnis, Abbildungsnachweis und ein (unvollständiges) Register. Ein Abkürzungsverzeichnis für die dem Laien sicherlich unbekannten Siglen CIL, ILS, FIRA, HA etc. wäre nützlich gewesen.

Für eine zweite Auflage sollten zahlreiche Fehler beseitigt werden: Auf. S. 7 ist statt “Vitruv 2,15” “Vitruv 2,1,5”, auf S. 11 statt “Cicero, Phil. 45,116” “Cicero, Phil. 2,45,116”, auf S. 21 statt “Tacitus, ann. 15,4,3” “Tacitus, ann. 15,43,3”, auf S. 25 statt “In Haus” “Im Haus”, auf S. 37 statt “Ovid, fast. VI 42” “Ovid, fast. VI 639-646”, auf S. 40 statt “Cassius Dio 53,27,1” “Cassius Dio 49,43,2-3”, auf S. 46 statt “Plinius (nat. 13,3)” “Plinius (nat. 18,3)”, auf S. 52 statt ” comes orientes” ” comes orientis“, auf S. 56 statt “198 n.Chr.” “189 n.Chr.”, auf S. 67 statt “Tacitus (ann. 2,55,1-2)” “Tacitus (ann. 3,55,1-2)”, auf S. 84 statt “fremden” “Fremden”, auf S. 90 statt “Sen. ep. 47,3” “Sen. ep. 47,5”, auf S. 93 statt “Horaz ep. 2,66” “Horaz epod. 2,66”, auf S. 96 statt “CIL VI 29761” “CIL VI 29791”, auf. S. 117 statt “Cicero (Att. 9,2)” “Cicero (Att. 14,9,1)”, auf S. 119 statt “Att. 12,18,2” “Att. 12,18,1”, auf S. 154 in Anm. 54 statt “Cicero, Cae. 26” “Cicero, Cael. 62”, auf S. 155 in Anm. 80 statt “Flavius Josephus, ant. Iud. 19,24,7; Cassius Dio 19,13” “Flavius Josephus, ant. Iud. 19,24-27; Cassius Dio 59,13”, in Anm. 81 statt “Sueton, Aug. 44,3” “Sueton, Tib. 72,2” und in Anm. 94 statt “Gellius 16,5,2” “Gellius 16,5,3” zu lesen. Die auf S. 95 erwähnten Forscher Calza und Gerkan sind nicht im Literaturverzeichnis aufgenommen, ebenso wenig der auf S. 136 genannte Mazois.

Trotz dieser Ungenauigkeiten legt die Autorin mit dem Buch insgesamt eine gelungene und gut lesbare Einführung zum Leben und Wohnen in der römischen Stadt vor, wobei der Schwerpunkt der Betrachtung auf Letzterem liegt.