BMCR 2006.12.21

Senatorische Familien und ihre patriae (1./2. Jahrhundert n. Chr.). Studien zur Geschichtsforschung des Altertums, 14

, Senatorische Familien und ihre patriae (1./2. Jahrhundert n. Chr.). Studien zur Geschichtsforschung des Altertums, Bd. 14. Hamburg: Kovač, 2006. xi, 247 pages ; 21 cm.. ISBN 3830018363. €85.00.

Quid ergo? Non Italicus senator provinciali potior est? 1 — Mit dieser rhetorischen Frage untermauerte Kaiser Claudius als Zensor im Jahre 48 n.Chr. seinen (erfolgreichen) Antrag über die Aufnahme der Gallier in den Senat. Auch Provinzialen dürfe man nicht zurückweisen, so das Postulat von Claudius, “wenn sie der Kurie zur Ehre gereichen können”.2 Claudius leitete damit einen Paradigmenwechsel in der Zusammensetzung der rmischen Kurie ein.3 Nach einigen Präzedenzfällen unter Augustus und Tiberius strmten tatsächlich fortan immer mehr Eliten “provinzialer Provenienz” 4 in den Senatorenstand — und damit auch nach Rom und Italien selbst! Dabei folgten sie einerseits den rechtlichen Bestimmungen, andererseits knüpften sie natürlich politische, wirtschaftliche, soziale und zunehmend emotionale Bindungen zur neuen patria und integrierten sich rasch.

Doch was geschah in den eigentlichen Heimatstädten der neuen Senatoren nach deren Abwanderung gen Rom? Wie entwickelte sich das Verhältnis der in Rom ansässigen Senatoren zu ihrer eigentlichen Heimat in der Folgezeit und über Generationen hinweg? Diesen und weiteren Fragen hat sich die heutige, nicht nur mehr romzentrierte Forschung zu stellen. Dem Diktum von einer zunehmenden Entfremdung der provinzialen Senatoren von ihrer Heimatstadt5 stellte W. Eck die These vom provinzialen Reichssenatorenstand als “weiterhin in vielen Selbstverwaltungseinheiten . . . aktiv-engagierte[m] Teil der kleinräumigen Gesellschaften” entgegen.6 Diese Hypothese seines Zweitgutachters und Lehrers Ecks mit Hilfe insbesondere prosopographischer Untersuchungen an Einzelfällen zu untermauern, setzt sich Krieckhaus (K.), der auch an dem von Eck geleiteten Projekt “Prosopographia Imperii Romani” der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften mitarbeitet, in seiner Studie zum Ziel.

Da die überlieferung des Studienmaterials hauptsächlich aus Inschriften besteht, die aufgrund ihrer Lückenhaftigkeit kaum eine belastbare statistische Erhebung als Argumentationshilfe bieten, bedient sich K. der induktiven Methode mittels Fallstudien an einzelnen senatorischen Familien, ohne dieses Vorgehen jedoch weiter zu erläutern. Die ausführlich begründete Auswahl dieser Familien (26-30) aus urbanen Zentren (in Provinzen bzw. regiones Italiae) des imperium Romanum, etwa unter Auslassung kaiserlicher Familienstämme, unter dem Aspekt einer mglichst gleichmässigen regionalen Verteilung sowie dem Hauptkriterium der Aussagekraft von epigraphischem, archäologischem (und literarischem) Material, führt zu acht Fallbeispielen: Zu dem auch literarisch gut bezeugten Plinius d.J. aus Comum gesellen sich die Ummidii aus Casinum, die Caesernii aus Aquileia, die Rutilii und Glitii aus Augusta Taurinorum, die Minicii aus Barcino, die Antistii aus Thibilis, die Cuspii aus Pergamon und die Caristanii aus Antiocheia ad Pisidiam. In den Nachträgen problematisiert K. allgemein die Herkunftsbestimmung bei rmischen Senatoren (169-175), die literarischen Belege für die Aufenthalte des L. Cuspius Pactumeius Rufinus in Pergamon (176-178) und eine von Christian Habicht edierte Inschrift vom Asklepieion in Pergamon, die neben Rufinus, wohl den Cuspii entstammend, einen unbekannten Marcellus nennt (179-182). Eine ausführliche Bibliographie, Personenindex, ein Katalog mit den wichtigsten Inschriften7 und sehr nützliche übersichtstabellen zu den einzelnen Fallstudien sind ebenfalls beigegeben.

K. erweitert für seine Untersuchung zunächst den rechtlichen Begriff der patria (14-16), der von den (severischen) Juristen mit dem Begriff origo gleichgesetzt wurde, für die Senatoren also die Stadt Rom als patria / origo festlegte, um den “emotionalen Charakter” (15) dieses Begriffes als “Geburtsheimat” oder “Heimatstadt” (16), wie er sich etwa bei Cicero oder Plinius verwendet finde. Ob allerdings Emotionalität einen bedeutenden Faktor für eine weitere Beziehung zur Heimat darstellte (17), kann nach Meinung des Rezensenten so nicht ohne weiteres dem zumeist formelhaften und sprachlich normierten Inschriftenmaterial entnommen werden.8

Ausgehend davon stellt K. dann Kriterien für das zu untersuchende Material zusammen (17-25), die dann in den Einzeluntersuchungen konsequent angewandt werden. So lassen sich für die untersuchten Familien immer einzelne Merkmale einer Beziehung zu ihrer Heimat finden, etwa Euergetismus, Patronat, Aufenthalte, Ehrungen seitens der Stadt sowie durch eigene liberti, clientes oder amici, Grundbesitz oder politisch-soziale wie religis-kultische Kontakte. Da die überlieferung insgesamt zu fragmentarisch ist, die Merkmale von Familie zu Familie mitunter stark variieren und K. daher zu recht Skepsis vor voreiligen Schlüssen walten lässt, kann das Ergebnis der Untersuchungen seine Hauptthese, die provinzialen Senatoren zumindest in der ersten Generation hätten noch enge soziale, wirtschaftliche, emotionale, ja sogar politische Bindungen an ihre alte Heimat gepflegt, natürlich nicht verifizieren, allenfalls plausibel machen.

Dies umso mehr, als K. die ohnehin dürftige literarische überlieferung, die bei Plinius d. J. durchaus wertvolle Erweiterungen sowie Ergänzungen bringen knnte, der vollen Breitseite der gattungs- und formkritischen Forschungskanonade preisgibt, die wenig Verwertbares übriglässt. Ob K. sich, der prosopographischen Forschung und der gesamten Althistorie damit einen Gefallen tut, bleibt zweifelhaft.

Quid novi? K. hat mit seiner gelungenen Dissertation eine interessante und materialreiche Studie zu den provinzialen Senatoren und ihren Beziehungen in die alte Heimat vorgelegt. Die nachvollziehbare Bindung eines Senators an seine Heimatstadt über die Berufung nach Rom hinaus eröffnet ganz neue Forschungsimpulse, beispielsweise Fragen nach der Zusammensetzung der peer groups in Bezug auf den provinzialen Romanisierungsprozess, der Re-Migration von in die Provinz abgewanderten Italikern oder dem Identitätsbewusstsein der “Elite” Roms.9

Notes

1. CIL XIII 1668 = ILS 212 (Lyon), tab. II, Z. 5.

2. Ebd., Z. 7f.: Sed ne provinciales quidem, | si modo ornare curiam poterint, reiciendos puto. übersetzung des Zitats von: L. Schumacher (Hrsg.), Römische Inschriften. Lateinisch/Deutsch, Stuttgart (second edition 2001), Nr. 19 (S. 92).

3. Claudius führte also das fort, was in den Bestimmungen der lex Ovinia vom Ende des 4. Jahrhunderts v.Chr. bereits angelegt war: . . . ut censores ex omni ordine optimum quemque curiati[m] in senatu[m] legerent . . . (Fest. s.v. praeteriti senatores, p. 290, 13f. L).

4. Unter “provinzialen Senatoren” sind in der Studie von K. auch solche zu verstehen, die aus Städten der regiones Italiae stammen.

5. Vgl. auch das postum veröffentlichte Erstlingswerk von R. Syme, The Provincial at Rome and Rome and the Balkans 80 B. C. – A. D. 14, ed. by Anthony R. Birley, Exeter 1999.

6. W. Eck, Die Präsenz senatorischer Familien in den Städten des Imperium Romanum bis zum späten 3. Jahrhundert, in: Studien zur antiken Sozialgeschichte. Festschrift Friedrich Vittinghoff, hrsg. v. W. Eck, H. Galsterer u. H. Wolff, Köln u.a. 1980, 283-322, hier 318.

7. Im Haupttext sind an manchen Stellen einige Verweisfehler auf die entsprechenden Inschriften zu beklagen. An den entsprechenden Stellen ist die Kapitelzahl um + 1 vermehrt und verweist daher auf eine falsche Inschrift im Katalog. So muss es richtig heissen: S. 40 Anm. 42: “Inschriften 1.1 und 1.2″; S. 44, Anm. 56: “Inschrift 1.3″; S. 46, Anm. 62: “Inschrift 1.3″; S. 47, Anm. 65: “Inschrift 1.3″; S. 55, Anm. 21: “Inschrift 2.5″; ebd., Anm. 22: “Inschrift 2.3″.

8. Vgl. hierzu auch die Rezension von P. Eich, Rez. zu Andreas Krieckhaus, Senatorische Familien und ihre patriae, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 10 [15.10.2006], URL: Rezension von P. Eich.

9. Für die Spätantike vgl. hierzu die Studie von: P. Sivonen, Being a Roman Magistrate: Office-holding and Roman Identity in Late Antique Gaul, Helsinki 2006. Rezensiert von R. Goodrich, in: BMCR 2006.10.14.